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ADHS/Autismus und Monotropismus: Die Wissenschaft hinter dem Hyperfokus

Was bedeutet Monotropismus?

Monotropismus beschreibt die Neigung, Aufmerksamkeit stark zu bündeln. Während viele Menschen ihre Aufmerksamkeit (mehr oder weniger) breit streuen können („Multitasking“), richten monotrope Menschen ihren Fokus auf wenige Dinge – dafür aber mit großer Tiefe. Ein einfaches Beispiel:

Neurodivergente Menschen betreten einen Raum und nehmen dort zuerst wahr: Ein Sofa. Dann einen Tisch. Dann eine Lampe. Dann ein Bücherregel usw. Neurotypische/Neuronormale Menschen nehmen den Raum als Ganzes wahr.

Das Konzept stammt aus der Autismus-Community, vor allem von Dinah Murray, Mike Lesser und Wenn Lawson. Sie sahen Monotropismus nicht als Defizit, sondern als Grundprinzip autistischer Kognition.

Ein monotropes Gehirn funktioniert wie ein Tunnel: Was darin liegt, wird intensiv wahrgenommen und verarbeitet; alles andere wird ausgeblendet. Das erklärt viele typische Merkmale autistischen Erlebens:

  • Intensive Interessen: Autist:innen können in Lieblingsthemen aufgehen und darin Expert:innen werden.
  • Wechselprobleme: Aufgabenwechsel oder spontane Reize überfordern, weil das Gehirn nicht schnell umschalten kann. Das kann ein unerwarteter Telefonanruf sein. Oder die Benutzung der Dusche. Klingt kurios, aber beide Reize (das Klingeln und das Wasser auf der Haut) sind ein schneller Wechsel vom vorherigen Zustand.
  • Reizfilterschwierigkeiten: Bei Überstimulation (z. B. in lauten Räumen) droht Reizüberflutung.
  • Soziale Missverständnisse: Subtile Signale wie Ironie oder Blickkontakt werden leicht übersehen, wenn sie außerhalb des aktuellen Fokus liegen.

Warum ist Monotropismus wichtig?

Das Konzept zeigt, dass viele sogenannte „Symptome“ des Autismus keine isolierten Probleme sind, sondern logisch aus einem besonderen Aufmerksamkeitsstil entstehen. Es erlaubt, Autismus nicht nur über Defizite zu beschreiben, sondern aus der Innenperspektive zu verstehen.

Statt von „Fixierung“ oder „Einengung“ zu sprechen, betont Monotropismus die Stärken: Konzentration, Begeisterung, Ausdauer und Flow-Erleben. Herausforderungen entstehen meist dann, wenn monotrope Systeme überfordert oder unterbrochen werden.


Was folgt daraus für Alltag, Schule, Therapie?

  • Interessen nutzen: Anstatt Spezialinteressen zu unterdrücken, sollten sie als Lern- und Kommunikationsbrücke genutzt werden.
  • Reizumgebungen anpassen: Weniger Lärm, visuelle Klarheit, feste Routinen helfen beim Fokus.
  • Wechsel vorbereiten: Transitions unterstützen, Zeit für Umstellung lassen.
  • Kommunikation klären: Wörtlichkeit respektieren, nicht auf subtile Andeutungen setzen.

Wie steht es mit der Forschung?

Aktuelle Studien belegen, dass viele Autist:innen sich in einem monotropen Aufmerksamkeitsprofil wiedererkennen. Neue Fragebögen (z. B. Monotropism Questionnaire) und neuropsychologische Daten stützen das Modell zunehmend. Besonders wertvoll ist, dass Monotropismus nicht „über“ Autist:innen spricht, sondern mit ihnen.


Fazit

Monotropismus bietet eine starke Erklärung für viele autistische Erfahrungen. Es zeigt, dass Autismus kein Puzzle unzusammenhängiger Symptome ist, sondern ein kohärenter, wenn auch besonderer kognitiver Stil. Wer diesen Stil versteht, kann Wege finden, Stärken zu fördern und Herausforderungen zu lindern – mit mehr Respekt und weniger Missverständnissen.

„Ich bin nicht zu empfindlich. Ich bin nur gerade auf etwas ganz anderes fokussiert.“ – autistische Stimme zum Thema Monotropismus

Quellenhinweis: Inspiriert durch Arbeiten von Dinah Murray, Wenn Lawson, Fergus Murray, Valeria Garau u.a., sowie durch monotropism.org, The Psychologist (2019), Neurodiversity (2024), Autism Research (2024).

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